Bei all unseren Bekenntnissen zum Klimaschutz und unserem Bemühen, CO2 zu sparen, vergessen wir leider allzu oft das eigentliche Problem, das sich dahinter verbirgt: unseren immensen Ressourcenverbrauch. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Es nützt uns letztlich wenig, beispielsweise von fossilen Energieträgern, wie Öl und Gas, auf erneuerbare Energien umzusteigen oder statt Verbrenner-Motoren unsere Autos mit E-Motoren auszustatten. Der Verbrauch an Rohstoffen verlagert sich dabei nur, die dann, zum Beispiel als Silizium, kaum wiederverwendbar in Photovoltaikpanelen oder als Lithium unwiederbringlich in Batterien stecken. Das gilt nahezu für sämtliche Branchen und ihre Produkte. Mit dem Ergebnis, dass unsere Müllberge wachsen oder bei der sogenannten thermischen Verwertung, also bei der Müllverbrennung, neben giftigen Stoffen wiederum jede Menge CO2 entsteht. Zudem sind die meisten Rohstoffe, die wir zum Produzieren verwenden nicht unbegrenzt verfügbar. Denken wir beispielsweise an seltene Erden, Metalle und Mineralien, die nicht nur in den Bereichen erneuerbare Energien oder Mobilität benötigt werden, sondern auch in jeglichem elektronischen Produkt Verwendung finden. Allzu häufig werden diese wichtigen Rohstoffe so verbaut, dass diese gar nicht oder nur in minderwertiger Qualität wieder zurückgewonnen werden können. Dadurch steuern wir auf Dauer in eine multiple Krisenlage.
Stichwort: Circular City
Circular Cities sind Kommunen, die ihre Verbräuche an Ressourcen und Materialien kreislauffähig gestalten wollen, um möglichst viel an eingesetzten Rohstoffen wiederverwenden zu können. Dazu treiben diese Kommunen den Übergang von einer linearen hin zu einer zirkulären Wirtschaft ganzheitlich über all ihre Funktionen hinweg gemeinsam mit Bürgern, Unternehmen und Wissensgemeinschaften voran.
Diesen Systemfehler gilt es zu beheben und mit dem Bewusstsein der Endlichkeit unserer planetaren Ressourcen ein regeneratives System anzustreben. Ein System, in welchem Produkte und Materialien so konzipiert und hergestellt werden, dass das, was an Ressourcen drinnen steckt in gleicher Qualität wieder gewonnen werden kann. Und das über alle Branchen hinweg. Es geht also um einen ganzheitlichen Prozess, mit dem Ziel, statt Abfälle Kreisläufe zu etablieren in denen Rohstoffe, Materialien oder Produktteile zirkulieren können. In einer Welt, in der viele notwendige Ressourcen nur begrenzt verfügbar und oftmals von geopolitischer Bedeutung sind, können sich als zusätzliche Effekte neben der Abfallvermeidung rasch wirtschaftliche sowie geostrategische Vorteile ergeben.
Um die Transformation weg von einem linearen Wirtschaftssystem zu schaffen und damit Abschied von der Wegwerf-Gesellschaft zu nehmen, sind sowohl der Wissenschaftsbetrieb, als auch innovative Unternehmen gefragt. Aber auch diejenigen, die Produkte, egal in welchem Bereich konsumieren.
Kommunen können bei dieser Transformation einen entscheidenden Anteil haben. In vielen Bereichen besitzen sie wirksame Hebel, um zirkuläres Denken und Wirtschaften anzustoßen. Beispielsweise im Bereich „Bauen“. Die Baubranche allein ist für etwas mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich (Quelle: Umweltbundesamt, abgerufen am 11.03.2023). Wenig verwunderlich, bei den gewaltigen Mengen an Bau- und Abbruchabfällen. Leider kann, Stand heute, nur sehr wenig davon so recycelt werden, dass das wiedergewonnene Material in gleicher Qualität wie ursprünglich verbaut wieder verwendet werden kann. Das ändert sich, wenn bei einem Neubau das Nutzungsende bereits mitgedacht wird und so geplant und gebaut wird, dass die eingesetzten Rohstoffe und Materialien in gleicher Qualität zurückgewonnen werden können. Das setzt unter anderem voraus, dass Materialpässe angerfertigt werden, die zusammen ein Materialkataster bilden, welches genau auflistet, was wo verbaut worden und wie es herauszuholen ist. Idealerweise wird dafür ein „digitaler Zwilling“ des Gebäudes erzeugt, der neben dem dann virtuellen Materialkataster auch Auskunft zu energetischen Verbräuchen sowie Wartung geben kann.
Zugegeben, ein visionäres Unterfangen. Aber möglich, wie erste richtungsweisende Projekte zeigen. Die Stadt Haar möchte in diesem so wichtigen Bereich eine Vorreiterrolle übernehmen. Mit der Neugestaltung unseres Jugendfreizeitheims DINO wagen wir uns auf zirkuläres Neuland. Das neue CIRCULAR DINO wird nicht nur möglichst kreislauffähig konzipiert sein, sondern soll sich auch selbst mit Energie versorgen und zudem aus gesunden Materialien bestehen. Innen wie außen. Denn Schadstoffe sind im Rahmen einer Circular Economy grundsätzlich zu vermeiden.
In Anbetracht der Bedeutung, dem der Bereich „Bauen“ für zirkuläres Wirtschaften zukommt, wird dieses Projekt nicht das einzige bleiben. Weitere sind bereits in der Pipeline und erfreulicherweise richten sich auch immer mehr andere große Akteure am zirkulären Modell aus. So ist auch unser neuer Bahnhofskiosk nach zirkulären Grundsätzen errichtet mit dem Ziel bei einer Demontage nach Ende der Nutzung möglichst alle Materialien oder Komponenten qualitätsgleich wieder verwenden zu können.
Stichwort: Circular Economy
Circular Economy lässt sich nur unzureichend mit Kreislaufwirtschaft übersetzen. Letztere ist in Deutschland stark von der Abfallwirtschaft und dem Bemühen um Recycling geprägt. Circular Economy setzt bereits vor dem Design des Produkts an, das idealerweise so konzipiert wird, dass alles, was an Ressourcen Verwendung findet, wieder in gleicher Qualität zurückgewonnen und erneut verwendet werden kann. Ziel ist die gänzliche Vermeidung von Abfall.
Aber nicht nur im Bausektor auch in vielen anderen Branchen findet eine enorme Verschwendung von Ressourcen und ein damit einhergehendes enormes Abfallaufkommen statt. Textilien, Möbel, Elektronikprodukte oder Artikel des täglichen Bedarfs beispielsweise, überall könnte eine Steigerung der Kreislaufrate für effektive Einsparungen und damit für wirkungsvollen Schutz unserer Umwelt sorgen. Auch hier können Kommunen Einfluss nehmen. Durch Beschaffung nach sozialökologischen Kriterien, die neben dem Preis auch die Herkunft der Rohstoffe, Schadstoffreinheit sowie Kreislauffähigkeit des Produkts bewerten, werden entsprechende Unternehmen und ihre Produkte gefördert. Mit einem Beschaffungsvolumen von über 350 Mrd. € im Jahr – das sind ca. 13% des Bruttoinlandprodukts – hat die öffentliche Hand einen entscheidenden Anteil an der Nachfrage nachhaltiger Produkte (Quelle: Corsus, abgerufen am 12.03.2023). Die Verwaltung unserer Stadt arbeitet bereits an einer zirkulären Beschaffungsrichtlinie und hat bereits erste Projekte, wie beispielsweise die Ausstattung der Sanitärbereiche im Rathaus mit zirkulären Produkten, umgesetzt. Kleine Meilensteine in Richtung einer Circular City.
Stichwort: Produkte im Kreislauf
In einer echten Kreislaufwirtschaft gibt es verschiedene Möglichkeiten Produkte (insbesondere aus technischen Materialien) im Kreislauf zu halten:
1. Wiederverwenden von Produkten anstelle von Einwegprodukten (zum Beispiel wiederverwendbare Becher für den Kaffee unterwegs)
2. Reparieren statt Neukaufen (soweit das Design der Produkte dies zulässt)
3. (Umver-)Teilen von Produkten zwischen Konsumenten (zum Beispiel über Plattformen für gebrauchte Produkte oder mieten statt kaufen)
4. Aufbereiten von Produkten (zum Beispiel wiederaufbereitete Handys oder Industriemaschinen)
5. Recycling, Wiederverwendung der Materialien aus Produkten wie Papier, Glas oder Plastik
Entscheidend für das Schließen von Kreisläufen ist zudem die Energieversorgung. Echte Nachhaltigkeit erreichen wir nur, wenn wir regenerative Quellen nutzen. Auch in diesem Bereich muss die Technik zur Nutzung der Energie, wie PV-Module, Windkraftanlagen oder Batteriespeicher, idealerweise zirkulär beschaffen sein. Dieser Bereich steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber das Potenzial einer Circular Energy Industry ist von einigen Herstellern bereits erkannt. Schließlich stecken auch in diesem Sektor wichtige Rohstoffe in der Technik, die großen Wert besitzen, wenn sie sortenrein und wirtschaftlich zurückgewonnen werden können. In einem ersten Schritt plant die Stadt Haar auch diesen wichtigen Hebel zu nutzen und strebt sowohl bei der Strom-, als auch bei der Wärmeversorgung nachhaltige Lösungen an. Eine große, moderne und batteriespeichergestützte Freiflächen-PV-Anlage ist bereits auf dem Weg.
Wir haben uns mit der Idee eine Circular City zu werden ein hehres Ziel gesetzt. Wer sich allerdings näher mit den Vorteilen einer kreislauffähigen Wirtschaft, einer Circular Economy also, beschäftigt, merkt recht schnell, dass dieses System große Vorteile gegenüber unserem jetzigen linearen System besitzt. Auch wenn wir noch am Anfang unseres Weges stehen, lohnt es sich ihn konsequent zu gehen. Für unsere Umwelt, für unsere sichere Versorgung mit Rohstoffen und Ressourcen und damit für unseren Wohlstand und unser Wachstum. Denn wer in Kreisläufen wirtschaftet, dessen Wirtschaft kann nachhaltig und umweltverträglich wachsen. Wir in der Stadt Haar packen es an.
Mein Buchtipp zum Thema: