
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich heiße Sie alle hier im Haarer Bürgersaal recht herzlich willkommen. Ich begrüße sie alle zu einem für die Gemeinde Haar ganz besonderen Abend: Wir werden Stadt.
Ganz bewusst haben wir den Festakt zur Stadterhebung mit unserem Neujahrsempfang verbunden. Beides steht für den Beginn von etwas Neuem. Etwas Neuem, das keinen radikalen Neuanfang bedeutet, sondern vielmehr einem Meilenstein gleicht. Einem Meilenstein, der einen kurz innehalten lässt, der Bewusstsein für den bisher gegangenen Weg schafft und der auch zum Zurückblicken einlädt. Dazu einlädt sich das Erreichte bewusst zu machen und zu würdigen. Und der natürlich auch dazu animiert in die Zukunft zu blicken.
Solche Anlässe, ganz besonders der Jahreswechsel sind ja oft verbunden mit der Tradition sich gute Vorsätze vorzunehmen. Wer hat sich dieses Jahr keine guten Vorsätze vorgenommen?
Meist sind diese schnell wieder vergessen, fallen dem Alltag zum Opfer oder verschwinden klamm heimlich wieder dorthin, wo sie hergekommen sind. Aber manche Vorsätze setzen sich durch, bleiben bestehen und bewirken etwas.
Und so ist mir für heute eine Idee gekommen. Besser gesagt ein Vorsatz, der ganz trefflich zu beidem passt. Neuem Jahr und Stadterhebung. Sie mögen mich jetzt für verschroben halten, aber ich tue zu Hause etwas, was wahrscheinlich jeder von Ihnen auch zu Hause ohne großen Aufwand tun könnte. Denn die allermeisten werden den dazu nötigen Gegenstand besitzen, ja, vielleicht sogar ihr Eigentum nennen: eine Bibel. Ja, tatsächlich ab und an, nehme ich mir das Konvolut zu Hand blättere und lese darin.
Über die Bibel, Immanuel Kant und den Volksmund
Und kürzlich bin ich wieder über eine Passage gestolpert, die sie alle gut kennen. Ja deren Inhalt sogar jene kennen, die, aus welchen Gründen auch immer, bisher gar nicht in der Bibel gelesen oder davon gehört haben. Denn der Inhalt findet sich nahezu in allen Religionen, in Weisheitslehren und philosophischen Gebäuden.
Es ist die gute alte goldene Regel, die der Volksmund ungefähr so ausdrückt:
Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu.
Oder die sich auch als fundamentaler Grundsatz einer Philosophie wie der kategorische Imperativ Immanuel Kants generiert:
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
In der Bibel, besser gesagt, im Neuen Testament und dort an mehreren Stellen, zum Beispiel in Matthäus Kapitel 7 Vers 12 wird sie von Jesus formuliert. Und er formuliert sie positiv: Was Du willst, das man Dir tue das tue auch Deinem Nächsten.
Ich finde ein ganz formidabler Vorsatz für das neue Jahr und ganz besonders in unserer in Kürze frisch gebackenen Stadt. Was Du willst, das man Dir tue, das tue auch Deinem Mitbürger. Wenn wir das ein wenig mehr beherzigen, dann ist schon viel gewonnen. Drücken sich darin doch die Grundlagen guten Zusammenlebens aus, Solidarität untereinander, mit gutem Willen zu handeln und über die scheinbaren Fehler anderer auch mal großzügig hinwegzublicken.
Was Du willst, das man Dir tue, das tue auch Deinem Mitbürger. Eine genauso einfache wie gute Maxime, die an einem Ort, wo viele Menschen zusammen leben sicher nicht die schlechteste ist. Und die wir uns hier in Haar nur immer mal wieder bewusst zu machen brauchen. Denn das Wirken für die Mitbürger, für die Mitmenschen war und ist oft Grundlage des Handelns vieler Menschen hier, anders wäre dieses gesellschaftliche und soziale Netz, das uns ausmacht, nicht denkbar. Und ein solcher Tag, wie der heutige, ein solcher Schritt, wie wir ihn heute erleben dürfen, wäre nicht möglich.
Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam, hier, und viele von Ihnen waren dabei, 950 Jahre Haar gefeiert. Besser gesagt 950 Jahre Ersterwähnung. Nun war es aber nicht so, dass Haar in den 950 Jahren eine kontinuierliche Entwicklung durchlaufen hätte. Dass wir heute, hier, kurz vor der Erhebung zur Stadt stehen, das ist vielmehr einigen Ereignissen zu verdanken, die diesen unseren Ort jeweils auf bemerkenswerte Weise geprägt haben.
1871 war erst der Anfang – die Klinik wächst und aus Salmdorf wird Haar
Wir schreiben das Jahr 1871. Es ist März, Kälte und Schnee haben Haar, das damals zur Gemeinde Salmdorf gehört, noch gut im Griff. Zu dieser Zeit zählt der Ort gerade mal um die 40 Häuser und etwas mehr als 300 Einwohner.
Doch der März hält etwas Bedeutendes für die Haarer bereit. Ein großer Tag steht Mitte des Monats bevor: Die Bahnstation Haar an der Strecke München-Rosenheim wird eröffnet und markiert den Startschuss für eine rasante Entwicklung. Diese verläuft zwar zunächst noch gemächlich, aber das nächste große Ereignis beginnt bereits Ende des 19. Jahrhunderts Gestalt anzunehmen.
Im Zuge des Baus und der Eröffnung der damaligen Kreisirrenanstalt, des jetzigen Isar-Amper-Klinikums München-Ost, im Jahre 1905, wuchs die Gemeinde zügig: 1917 hatte Haar bereits 3666 Einwohner. Am 29. April 1924 wurde die Gemeinde Salmdorf in Haar umbenannt.
Die Klinik, die in diesem Jahr ein eigenes Jubiläum, nämlich ihren 120. Geburtstag feiert, hat Haar geprägt. Und eine sehr wechselvolle Geschichte beschert. Die Oberbayerische Kreisirrenanstalt Eglfing hatte nach ihrer Inbetriebnahme Platz für etwa 1.200 Patienten, auf einer Fläche von 100 ha mit 60 Gebäuden, 30 Pavillons und 46 Krankenstationen, darunter auch Dienstwohnungen- und häuser.
Das therapeutische Konzept war alles andere als Standard. Auf Basis humanistischen Denkens, kamen therapeutische Konzepte zum Einsatz, die für uns heute selbstverständlich sind:Es ging nicht mehr nur darum Menschen mit psychischen Erkrankungen einfach nur wegzusperren und von der Gesellschaft zu separieren, sondern durch Struktur im Alltag und als sinnvoll empfundener Tätigkeit, wieder Teil der Gesellschaft werden zu lassen. Dieser positive Geist lag auch der gewählten Architektur zu Grunde: weitläufige Grün- und Parkflächen, großzügige Gestaltung des Raums, innen wie außen, sowie eine damals moderne Ästhetik, sollten zur psychischen Gesundung beitragen.
Dieser durchaus positive Ansatz wurde durch die Ideen von Rassenhygiene und Reinheit, durch den Wahn vom gesunden Volkskörper, mehr und mehr überlagert und ersetzt. Auch das gehört zur Geschichte Haars. Und fand einen traurigen Höhepunkt mit dem Siegeszug der Nationalsozialisten und der Manifestation der kruden Ideen in den Morden an tausenden Menschen, im Rahmen der Aktion T4, wie sie heute bezeichnet wird.
Erinnerungskultur erfindet sich neu
Es war ein langer Weg sich ernsthaft, ehrlich und schuldbewusst mit den schrecklichen Geschehnissen auseinanderzusetzen. Zu einer Kultur der Erinnerung, der inhärent ist, dass Geschehenes nicht rückgängig gemacht werden kann.
Aber die erinnernd, gedenkend und mahnend ein Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft ist und bleibt. Und sich auch neu erfindet, durch Projekte, die diesen dunklen Teil der Geschichte verarbeiten und versuchen greifbar zu machen wie mit den EMG-Theaterprojekten, dem Musical „Villa Haar“ oder jüngst den von Schülern der FOS Haar erdachten und gestalteten Stein-Gabionen am Erinnerungort „Gemeinsam erinnern – jeder Stein ein Kind“ im Jugendstilpark.
Sich gegen das Vergessen stellen, ist ein bedeutender Teil des Selbstverständnisses unserer Klinik, die heute zu den größten und bedeutendsten Einrichtungen ihrer Art in ganz Deutschland gehört. Und auf die wir in unserer zukünftigen Stadt mit Recht stolz sein dürfen. Auch dies, die Wahrnehmung des Klinikstandorts Haar, hat eine eigene Geschichte, die sich vielleicht darin prägnant veranschaulichen lässt, wenn wir kurz auf den ersten Anlauf zur Stadterhebung blicken.
Die „Stadt-Väter“ Hans Stießberger und Horst Wiedemann
Vor 25 Jahren wollten, allen Willigen voran, Horst Wiedemann und Hans Stießberger, damals Fraktionschefs der SPD und der CSU im Haarer Gemeinderat, ihren Ort sich nicht als bloßen Vorort von München entwickeln sehen. Sondern selbstbewusst das Eigenständige unterstreichen und festigen. So brachten sie den ersten Antrag zur Stadterhebung ins Rollen. Aus verschiedenen Gründen rollte dieser leider nicht weit. Interessant ist aber, dass in dem durchaus imposanten Antrag die Klinik nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Ein Vierteljahrhundert später ist dies nun anders. Nicht zuletzt einer Entwicklung zu verdanken, die psychiatrischer, psychotherapeutischer und neurologischer Versorgung mehr und mehr das Stigma nimmt. Erkrankungen der Psyche, wie Burn-out, Depression oder Suchterkrankungen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Werden wahrgenommen, werden ernstgenommen. Freilich ist dabei noch Luft nach oben, aber das Bewusstsein ist definitiv ein anderes. Das Bewusstsein in Haar, als Heimat des heutigen Campus für seelische Gesundheit, ein Zentrum für medizinische Versorgung in diesem Bereich zu sein.
Und das haben wir in unserem Antrag diesmal betont. Als einen der wesentlichen Faktoren für die überregionale Bedeutung Haars. Wenngleich auch nicht der einzige. Wie so viele Kommunen in Deutschland musste sich auch Haar nach dem Ende des zweiten Weltkriegs neu sortieren. Es galt nicht nur sich selbst und das eigene Hab und Gut wieder aufzurichten, sondern eine große Zahl an vertriebenen Menschen aus den östlichen Gebieten des zusammengebrochenen Deutschen Reichs aufzunehmen und unterzubringen. Und die Gemeinde Haar wuchs und wuchs.
Mit dem Bau des Jagdfelds in den 1970er Jahren erlebte Haar einen bis heute beispiellosen Zuwachs an Einwohnern in kürzester Zeit: in wenigen Jahren vermehrte sich die Einwohnerzahl durch das relativ rasch entwickelte und gebaute Areal um 6.000 Menschen. Und schuf durch die städtebauliche Idee, die im Übrigen noch heute als modern gelten darf, im größeren Stil urbane Züge, ohne die eine Stadt Haar nicht ohne weiteres denkbar gewesen wäre.
Die Ortsmitte bleibt, ein Gewerbegebiet kommt und die Bevölkerung wächst
In den 80er Jahren gelang es, nach jahrelangen zähen Diskussionen, eine wunderbare Ortsmitte zu erhalten und zu gestalten. Mit dem Rathaus-Areal, und natürlich dem Rathaus selbst – mit den zwei charakteristischen Zwiebeltürmen – wurde ein Wahrzeichen Haars geschaffen. Ein gern fotografiertes Motiv mittlerweile, Sommer wie Winter.
Und auch in der folgenden Zeit entwickelte sich Haar erfolgreich weiter. In Eglfing wurden großzügige Wohn- und Gewerbeflächen ausgewiesen, geplant und bebaut. Und brachten nicht nur weiteres Wachstum, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg mit sich. Der Sport- und Freizeitpark, Heimstatt des TSV Haar, wurde aus der Taufe gehoben. Die Gemeindewerke wurden gegründet und stellten die Stromversorgung, die Gasversorgung und die Wasserversorgung auf ein sicheres kommunales Fundament. Es gelang integrierte Lagen mit Handel, Gewerbe und Wohnen zu schaffen, was wiederum zu mehr Urbanität und städtisch geprägtem Leben beigetragen hat.
Heute zählt unsere Groß-Gemeinde bereits über 25.000 Einwohner. Und hat sich nicht nur quantitativ prächtig entwickelt: Haar ist Klinik-Standort und Sitz des Katastrophenschutzzentrums des Landkreises. Viele große und kleine Betriebe haben ihren Sitz hier bei uns, schaffen zahlreiche Arbeitsplätze und bereichern mit ihrem Angebot den Ort.
Haar ist Mobilitätsdrehscheibe im Münchener Osten, weswegen wir auch baldmöglichst einen ordentlichen Busbahnhof bauen müssen und bauen werden. Haar verfügt zudem über eine breite Bildungslandschaft und ist kulturelles Zentrum im Münchener Osten mit einem wunderschönen Theater, einem gemütlichen Kino, einem vielgenutzten Bürgerhaus und einer Fülle an Veranstaltungen für jeden Geschmack.
129 Nationen leben in Haar zusammen. Und viele Mitbürger engagieren sich in Vereinen, Organisationen und Institutionen. Viele davon sitzen heute auch hier und machen Haar erst zu dem, was unsere Gemeinde und in Kürze auch unsere Stadt auszeichnet: eine lebendige Gesellschaft. Das ist es, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Denn was sind Gebäude und Häuser, was ist die schönste Ortsmitte, die wir zweifellos haben, aber was ist das alles wert, wenn sich keine Lebendigkeit darin und darum herum befindet? Und das macht uns aus, Lebendigkeit, eine lebendige Gesellschaft, von Haar bis Salmdorf, von Gronsdorf bis Ottendichl.
Ein besonderer Moment, um zusammenzukommen und innehält…
Und um sich dem auch immer wieder bewusst zu werden, um dieses einzigartige gesellschaftliche und soziale Netzwerk nicht als selbstverständlich zu betrachten, sondern vielmehr stetig daran zu arbeiten und weiterzuentwickeln, dazu bedarf es auch immer mal wieder besonderer Momente. Momente, in denen man zusammenkommt, innehält, das Erreichte würdigt und wir uns bewusst werden, ein Ort ist das, was wir daraus machen.
Ein solcher Moment darf, soll und wird die Stadterhebung sein. Sie soll Impuls sein, auch weiterhin mit Freude an unserer zukünftigen Stadt zu arbeiten. Daran mitzuwirken Haar lebendig und vielseitig zu halten und zu gestalten.
Aber auch gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um Haar finanziell wieder stark zu machen. Das ist nicht immer angenehm, wie die langwierige Diskussion um die Entwicklung der sogenannten Finckwiese zeigt. Aber es lohnt sich, wenn wir uns bewusst werden, was alles auf dem Spiel steht, wenn wir uns nicht um ein auskömmliches wirtschaftliches Fundament kümmern.
Wir haben es in der Hand. Vor uns liegen spannende Zeiten, die wir gemeinsam anpacken werden. Dazu brauchen wir jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger. Jeden einzelnen von euch und Ihnen. Und wisst ihr was? Ich freu mich drauf, denn hier mit euch in Haar, in unserer Stadt, zu wirken, gibt nicht nur Sinn, sondern macht wie immer auch verdammt viel Freude!
In diesem Sinne wünsche ich uns ein spannendes, ein lebendiges und ein erfolgreiches neues Jahr. Ich wünsche uns heute einen wunderbaren und unvergesslichen Abend. Und unserer Stadt wünsche ich auch in Zukunft viele engagierte Mitbürger, ein ersprießliches Gedeihen und ein herzliches und vor allem anderen friedliches Miteinander!
Ich übergebe nun das Wort an Herrn Joachim Herrmann, Staatsminister des Inneren, für Sport und Integration.